Europa lebt von seiner Vielfalt. Gleichzeitig strebt die EU kontinuierlich danach, übergreifende regulatorische Standards zu etablieren, die eine nachhaltige Zukunft für alle fördern. Die genaue Übersetzung von Dokumenten in die 23 Amtssprachen der EU spielt dabei eine zentrale Rolle. Am Beispiel der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) zeigte sich jüngst, welche hohe Verantwortung präzisen Übersetzungen zukommt: Bei einer ersten Analyse des Delegierten Rechtsakts hat das DRSC teilweise schwerwiegende Fehler in der deutschen Sprachfassung identifiziert und diese an die Europäische Kommission zurückgespielt.  

 

Die ESRS und ihre Bedeutung für nachhaltige Berichterstattung

Die ESRS stellen einen Meilenstein dar in der Bemühung, klare Leitlinien für Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance auf Grundlage der CSRD zu etablieren. Diese Standards wurden in einem ersten Set am 31.07.2023 von der EU-Kommission als Entwurf eines Delegierten Rechtsaktes veröffentlicht und dienen als Wegweiser für verantwortungsvolle Berichterstattung und transparente Kommunikation der Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen.

Die sprachliche Analyse der deutschen ESRS-Fassung

Im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz hat das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) die ESRS auf Übersetzungsfehler und Unklarheiten hin überprüfen lassen. Ziel war es, sicherzustellen, dass die deutschen Versionen den Originaltexten inhaltlich entsprechen und juristisch korrekt sind. Das Ergebnis der Analyse wurde am 18.09.2023 veröffentlicht und deckte eine Vielzahl von Ungenauigkeiten sowie potenzielle und schwerwiegende inhaltliche Fehler auf, die auf insgesamt 24 Seiten dokumentiert wurden. Das DRSC weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Auflistung keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhebe und lediglich als Indikation zu verstehen sei. Das vollständige Statement des DRSC zur sprachlichen Analyse der ESRS kann hier abgerufen werden.


Übersetzungsfehler in den ESRS – eine Auswahl

Das DRSC-Dokument listet seitenweise begrifflich fragwürdige Übersetzungen auf, versehen mit Verbesserungsvorschlag und meistens mit Kommentar. Die Bandbreite reicht von ungenauen und missverständlichen Begriffen bis hin zu schwerwiegenden inhaltlichen Fehlern. Diese haben zur Folge, dass bestimmte Aussagen der ESRS in ihrer deutschen Fassung verzerrt wiedergegeben werden, was sich nicht zuletzt auch in der künftigen Berichterstattung niederschlagen dürfte. Ein paar Beispiele für terminologische Patzer gefällig? „Non-eligible economic activities“ wurde mit „nicht förderfähiger Wirtschaftstätigkeiten“ übersetzt, obwohl „non-eligible“ laut offiziellem Wortlaut der EU-Taxonomie „nicht-taxonomiefähig“ heißen muss. Bei „removals“ von „Abbau“ zu sprechen, ist schlichtweg falsch, wenn es um die aktive Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre geht. Wenn „List of material sites“ nur mit „Liste der Standorte“ statt mit „Liste der wesentlichen Standorte“ übersetzt wird, fehlt ein kleines, aber für die Berichtserstattung so mancher Großunternehmen sehr wesentliches Wort. Der Teufel steckt auch bei „joint ventures“ im Detail, für die „Gemeinschaftsunternehmen“ (und nicht „gemeinsame Unternehmen“) die richtige Übersetzung ist.

Die Liste lässt sich munter fortsetzen: Die Übersetzung von „family-related leave“ als „Urlaub aus familiären Gründen“ suggeriert eher einen Erholungsurlaub an der Nordsee als die hier gemeinten allgemeinen familienbedingten Abwesenheiten, unter die auch die Pflege von Angehörigen fallen kann. „Climate change“ wurde fälschlicherweise an manchen Stellen mit „Klimaschutz“ übersetzt. Und die „fossil sources“ wurden zu „erneuerbare Quellen“ und damit glatt ins Gegenteil verkehrt.

Dies ist nur eine kleine Auswahl. Über einige im DRSC-Dokument aufgeführte Fehlerpunkte lässt sich sicherlich streiten. Die Analyse, für deren Zusammenstellung nur ein relativ kurzes Zeitfenster zur Verfügung stand, erhebt allerdings laut DRSC keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist also eher davon auszugehen, dass eine eingehende sprachliche Kontrolle des Delegierten Rechtsakts durch Übersetzungsprofis und Fachleute weitere Fehler und Inkonsistenzen aufdecken würden.

Ursachenforschung

Was aber ist die Ursache für die überraschend hohe Zahl an Mängeln? Viele der terminologischen Inkonsistenzen lassen sich sicherlich auf Unzulänglichkeiten im Übersetzungsmanagement und bei der QS und auf zumindest in Teilen fehlendes Expertenwissen seitens der Übersetzer:innem zurückführen. Unter Umständen sind sie aber auch das Resultat zu eng bemessener Erstellungszeiträume. Möglicherweise liegt ein Problem aber auch in Unklarheiten im englischen Ausgangstext. Als Sprachdienstleister erleben wir leider viel zu häufig, dass ungenaue oder gar sprachlich falsche Texte, von Nichtmuttersprachler:innen verfasst, maßgeblich auch Einfluss auf die Qualität einer Übersetzung haben können.

Unter Umständen ist die Übersetzung, zumindest teilweise, auch maschinell erstellt worden, und die anschließende menschliche Kontrolle kam zu kurz. Dafür spricht, dass so mancher Begriff, für den eine feste fachsprachliche Terminologie existiert, lediglich wörtlich übersetzt wurde. Doch selbst, wenn keine KI am Werk war: Am Beispiel ESRS zeigt sich, wie wenig geeignet maschinelle Übersetzungen für Texte mit hoher Wertigkeit oder für Kontexte mit weitreichendem Impact sind. Der Aufwand, solche KI-generierten bzw. maschinell erzeugten Texte durch versierte Sprachprofis mit dem nötigen Fachwissen minutiös kontrollieren und überarbeiten zu lassen, macht in der Regel alle Vorteile maschineller Systeme zunichte.

Die Vielfalt Europas: Konsistenz über 23 Amtssprachen hinweg

Die im DRSC-Dokument aufgelisteten Fehler unterstreichen die Notwendigkeit sprachlicher und terminologisch präziser Übersetzungen. Sprachliche und begriffliche Ungenauigkeiten in einem für die Nachhaltigkeitsberichterstattung so entscheidenden Bereich führen zu Fehlinterpretationen und Fehlern in Berichten. Die Vertrauenswürdigkeit der ESRS und die Integrität der nachhaltigen Entwicklung in Europa hängen nicht zuletzt maßgeblich von der Genauigkeit ihrer Standards ab.

Europa schätzt seine beeindruckende Sprachenvielfalt als kulturelles Erbe; die EU lebt sie in Form ihrer 23 Amtssprachen. In dieser Einzigartigkeit liegt aber auch eine Verantwortung für die Richtigkeit ihrer offiziellen Sprachfassungen. Nur präzise Übersetzungen ermöglichen allen Europäer:innen einen Zugang zu Informationen, unabhängig von der Muttersprache. Dies fördert nicht nur die Verständigung, sondern stärkt auch die Integrität europäischer Institutionen.

 

Fazit

Die erste Analyse der ESRS durch das DRSC und die ungewöhnlich hohe Zahl an Fehlern ist ein Paradebeispiel für die Bedeutung sprachlich und terminologisch korrekter Übersetzungen. Sie zeigt, dass Fehler in regulatorischen Texten mitunter weitreichende Konsequenzen haben und nicht nur das Vertrauen in die europäischen Nachhaltigkeitsbemühungen, sondern auch deren Anwendung beeinträchtigen können. Umfassendem Expertenwissen sowohl in sprachlicher als auch fachlicher Hinsicht – gebündelt in professionellen Fachübersetzer:innen – kommt daher eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung präziser und verlässlicher Regularien zu. Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, die Vielfalt Europas bei gleichzeitig klaren und einheitlichen Standards über Sprachgrenzen hinweg zu bewahren.

Wir sind gespannt, wie die Europäische Kommission auf die Arbeit des DRSC eingehen und ob sie die aktuell vorliegende Sprachfassung anhand dieser und künftiger Eingaben vor ihrer Veröffentlichung überarbeiten wird. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest die gröbsten Auffälligkeiten am Ende in der finalen Fassung der deutschsprachigen ESRS behoben sein werden. Denn das würde sonst nicht nur die Arbeit von uns Sprachdienstleistern erschweren, die sich an den offiziellen Wortlauten zu orientieren haben, sondern auch Auswirkungen auf die deutsche Nachhaltigkeitsberichterstattung an sich haben.


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Ob akurat und wörtlich genau oder kreativ und sprachlich frei – bei Übersetzungen im Berichtswesen, egal ob Nachhaltigkeits- oder Kapitalmarktkommunikation, stellt sich diese Frage nicht. Hier ist sprachliche und begriffliche Präzision gefragt. Wenn auch Sie Interesse an terminologisch einwandfreien, fachkompetenten und konsistenten Übersetzungen haben, dann nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf.