Welche Spuren hat das jüdische Leben in der deutschen Sprache hinterlassen und wieso ist das noch heute für uns relevant? Gerade beim Gebrauch jüdischer Wörter herrschen oft Unsicherheit und Sorge, sich unbeabsichtigt falsch oder diskriminierend auszudrücken. Wie kann ein sensibler, zugleich aber auch entspannter Umgang mit der jiddischen Sprache aussehen? Wir haben das zu Ende gehende Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zum Anlass genommen, uns mit diesen Fragen einmal näher zu beschäftigen und auf ein paar allgemeine Dos und Don’ts hinzuweisen.
 

#1700JLID – was steckt dahinter?

Seit nachweislich 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden in Deutschland. 312 erließ Kaiser Konstantin ein Gesetz, das besagte, dass Juden Ämter in den römischen Stadträten bekleiden durften. Dieses Dokument ist der älteste Beleg für die Existenz jüdischer Gemeinden im Gebiet des heutigen Deutschlands. Im Festjahr 2021 haben zahlreiche Projekte mit Ausstellungen, Konzerten, Theater und Filmen versucht, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen – und damit auch ein deutliches Zeichen gegen den erstarkenden Antisemitismus zu setzen.

Sensibler Umgang mit Sprache

Die jüdische Kultur hat also in Deutschland eine lange Geschichte. Doch nach den unvorstellbaren Gräueln des Nationalsozialismus herrschen oft immer noch betretenes Schweigen und die Angst, etwas Falsches oder Diskriminierendes zu sagen. Wir werden hier ganz vorsichtig versuchen, etwas Licht ins Dunkel dieser Unsicherheit zu bringen. Viele Wörter aus dem Jiddischen oder Hebräischen haben Eingang in die deutsche Sprache gefunden – bei manchen ist uns ihre Herkunft bewusst, bei anderen nicht. Ist es in Ordnung, solche Wörter zu benutzen? Oder fühlen sich jüdische Mitbürger*innen dadurch verletzt?  In seinem Buch „Antisemitismus in der Sprache – warum es auf die Wortwahl ankommt“ behandelt der Autor und Journalist Ronen Steinke wichtige Aspekte zu diesem Thema und liefert wertvolle Anregungen.

„Jude“ oder „jüdisch“?

Fangen wir ganz vorn an: beim Wort „Jude“. Zunächst einmal ist das ein wertfreies Wort, das man bedenkenlos in den Mund nehmen darf. Allerdings wird es seit vielen Jahrhunderten auch abwertend benutzt – als Instrument und Folge von bestehender Diskriminierung. Viele Menschen (auch jüdische) tun sich folglich damit schwer und umgehen das Wort, indem sie lieber „jüdisch“ sagen. Aus diesem Grund beginnen viele Seminare zum Antisemitismus damit, zu trainieren, das Wort „Jude“ laut auszusprechen und damit tiefsitzende persönliche Hemmungen abzubauen.

Was ist Jiddisch? Eine spannende Spurensuche

Vorweg: Es gibt kein „Jüdisch“ im Sinne einer Sprache. „Jüdische Sprache“ ist eine Sammelbezeichnung ganz unterschiedlicher Sprachen, unter denen das Jiddische zu den am meisten verbreiteten gehört. Jiddisch ist also kein Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache. Gewöhnlich wird unter Jiddisch heute das sogenannte Ostjiddisch verstanden, das auf einer jüdischen Ausprägung des Mittelhochdeutschen mit hebräisch-aramäischen Elementen basierte und sich weiterentwickelte, als verfolgte deutsche Juden im 13. Jahrhundert nach Osteuropa, vor allem nach Polen und Litauen flohen. Ihre (mittelhoch)deutsche Muttersprache wurde somit im Jiddischen konserviert und um slawische Einflüsse ergänzt. Keine andere Sprache der Welt weist mehr Ähnlichkeiten mit Deutsch auf.

Als Folge von Flucht und Vertreibung ist Jiddisch heute zwar in der ganzen Welt verbreitet, wird allerdings fast nur noch in ultraorthodoxen Gemeinden gesprochen, meist von älteren Mitgliedern. Auch von Juden selbst wird die Sprache heute ganz unterschiedlich wahrgenommen: Die Bandbreite reicht von Assoziationen wie „alt und schwach“ und „klingt nach Unterdrückung“ bis zu „ironisch“, „augenzwinkernd“ und „liebenswert“.

Von guten Wörtern …

Sensibel mit Sprache umzugehen bedeutet, seine eigene Wortwahl zu reflektieren und zu hinterfragen – ein allgemeiner Grundsatz, der auch und erst recht fürs Jiddische gilt. In einer freundlichen Haltung jiddische Wörter im gleichen Kontext zu benutzen wie Juden auch, sie also nicht zu verbiegen, umzudeuten oder gar mit einer negativen Zusatzbedeutung zu versehen, ist daher vollkommen okay. Hier eine kleine Auswahl von Begriffen (inklusive Übersetzung), die laut Steinke unbedenklich sind:

  • Chuzpe – Dreistigkeit
  • Ganoven – von Jiddisch „gannev“
  • Koscher – ordentlich, in Ordnung
  • Macke – Hieb, Stoß, Fehler
  • Masl tov – viel Glück
  • Meschugge – verrückt
  • Schlamassel – Unglück
  • Schmiere stehen – vom Hebräischen „schmira“ für Wache
  • Schmusen – eigentlich: sich unterhalten, schmeicheln, im Deutschen: kuscheln, liebkosen
  • Tacheles reden – Klartext reden
  • Zores – Ärger
… und schlechten Wörtern

Anders gelagert ist der Fall, wenn Wörter, die im Jiddischen völlig neutral sind, aber im Zuge von Stereotypisierung oder Ausgrenzung im Deutschen einen abwertenden Unterton oder eine negative Bedeutung erhalten haben. Also so, wie etwa „türken“, das oft als diskriminierend für „vortäuschen“, „fälschen“ empfunden wird (O-Ton Duden). Stellen wir uns vor, wir würden so etwas mit anderen Sprachen veranstalten – zum Beispiel das neutrale französische Wort für Käse („fromage“) abwertend für besonders deftige Käsesorten benutzen: „Bring diesmal bitte Gouda und Emmentaler mit, nicht wieder so einen stinkigen Frommasch wie neulich.“

Begriffe, deren Bedeutung einen abwertenden Unterton haben, können zum Beispiel sein:

  • Ische – ursprünglich ein neutraler Ausdruck für „Frau“
  • Mauscheln – eigentlich „reden wie ein Jude“, leitet sich von der jiddischen Form des Vornamens „Mose“ ab
  • Schachern – von „sachern“, dem jiddischen Ausdruck für „Handel treiben“
  • Mischpoke – Verwandtschaft

Durch die negative Bedeutung, die diese Wörter im Deutschen bekommen haben, können sie als abwertend und diskriminierend verstanden werden. Das Problem: Oft ist einem gar nicht bewusst, dass es sich überhaupt um ein jiddisches Wort handelt. Oder dass es seinen negativen Beiklang erst im Deutschen bekommen hat. Hier hilft einfach nur eines: aufmerksam zu sein.

Und in Sachen Aufmerksamkeit und Sensibilität scheint sich immerhin etwas zu tun: In seinem Buch ärgert sich Steinke noch, dass der Duden unter „türken“ darauf hinweist, dass das Wort als diskriminierend empfunden werden könnte, während dieser Eintrag unter „mauscheln“ fehlt. Inzwischen hat der Duden nachgelegt, zumindest online: „Das Verb mauscheln in den Bedeutungen ‚sich einen Vorteil verschaffen; betrügen‘ sowie Ableitungen davon sind eng mit antisemitischen Vorstellungen verbunden. Sie werden häufig als diskriminierend empfunden und sollten deshalb insbesondere im öffentlichen Sprachgebrauch unbedingt vermieden werden.“

Nachfragen. Nachdenken. Neugierig sein.

Muss man also erst Sprachwissenschaften studieren, um nicht versehentlich jemandem auf den Schlips zu treten? Und kann etwas eine Beleidigung sein, wenn keine Absicht dahintersteckt? Wir halten es in diesem Zusammenhang mit der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, die sich dafür starkmacht, den Dialog zu suchen. Weil es ihrer Meinung nach viel schlimmer ist, wenn Kommunikation abbricht. Und weil die meisten Menschen auf eine Frage aus ehrlichem Interesse offen und freundlich reagieren. Im Gespräch also ruhig nachfragen, wenn man unsicher ist. Wir fügen hinzu: Und beim Schreiben immer wieder prüfen, ob das Gemeinte und das Gesagte wirklich deckungsgleich sind. Dafür schadet es nicht, eigene (Sprach-)Gewohnheiten auch von außen zu betrachten und sich der Vielfalt anderer Sichtweisen zu öffnen.

Genau das war eines der Anliegen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“: Neugier zu schüren und einander kennenzulernen.

Jiddisch ist ein gutes Beispiel dafür, wie relevant die Beschäftigung selbst mit Sprachen ist, die nicht zu unserer unmittelbaren Alltagskommunikation gehören. Für uns bei ADVERTEXT sind bewusste Sprache und die Fähigkeit, immer auch über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, ein unbedingtes Muss. Wenn wir auch Sie in Sachen Lektorat oder Übersetzung unterstützen können, nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf.