Dieses Jahr fällt das chinesische Neujahr auf den 1. Februar. Aber es wird nicht nur in China gefeiert, sondern unter anderem auch in Vietnam. Für uns Grund genug, die vietnamesische Sprache einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Hier kommen unsere 10 Fakten rund ums Vietnamesische.
1. Das französische Vermächtnis
Mit der französischen Kolonisierung im 19. Jahrhundert musste das Vietnamesische dem Französischen als Amts- und Bildungssprache weichen. So ist es kein Wunder, dass die französische Sprache großen Einfluss auf das heutige Vietnamesisch hat. Das zeigt sich vor allem in seinem lateinischen Alphabet, das mit zwölf Vokalen auf insgesamt 29 Buchstaben kommt. Aber auch zahlreiche Lehnwörter haben ihren Weg in den vietnamesischen Wortschatz gefunden: Zum Beispiel wurden gare (Bahnhof) zu ga, pain (Brot) zu bánh, chocolat (Schokolade) zu sô cô la und café (Kaffee) zu cà phê.
2. Eine Silbe, viele Töne
Vietnamesische Wörter bestehen in der Regel aus nur einer einzigen Silbe. Was sich hier in der Theorie einfach anhört, hat es in sich: Denn je nach Tonhöhe können sich hinter einer einzelnen Silbe bis zu sechs verschiedene Bedeutungen verbergen. Die Tonhöhen werden durch kein bzw. fünf verschiedene Zeichen angegeben:
- ma (Geist) – ohne Zeichen: Der Normalton wird mittelhoch ausgesprochen und bleibt gleich.
- má (Mutter) – mit Akut: Der steigende Ton geht wie bei einer Frage nach oben.
- mà (aber) – mit Gravis: Der fallende Ton beginnt tief und sinkt zum Ende noch etwas.
- mạ (junge Reispflanze) – mit Punkt: Der Ton beginnt tief, fällt kurz steil nach unten und verstummt schlagartig.
- mả (Grab) – mit Haken: Der Ton fällt zuerst nach unten und steigt dann stark nach oben.
- mã (Pferd) – mit Tilde: Der Ton steigt an und – nach einer kurzen Unterbrechung, auch Glottisschlag genannt – steigt er weiter nach oben an.
Mit der Zeit fanden sich zunehmend auch mehrsilbige Wörter im Wortschatz, wobei die Silben voneinander getrennt geschrieben werden. Mehrsilbige Wörter sind oft Lehnwörter aus dem Chinesischen – oder Komposita, mit denen neue Konzepte ausgedrückt werden können: Laptop im Vietnamesischen heißt zum Beispiel máy tính xách tay (Maschine-rechnen-tragen-Hand).
3. Chinesische Verwandtschaft?
Etwa 70 Prozent des vietnamesischen Wortschatzes haben einen chinesischen Ursprung. Bei so vielen Gemeinsamkeiten wäre anzunehmen, dass die beiden Sprachen verwandt sind. Die vielen chinesischen Lehnwörter sind jedoch Zeugnis der fast 1.000-jährigen Dominanz Chinas über das vietnamesische Volk mit Chinesisch als Amtssprache. Neben der Masse an Wörtern brachte China auch seine Schriftzeichen mit, die später unter der französischen Kolonialmacht wieder abgeschafft wurden.
4. Die drei großen Dialekte
Wenn man vom Norden Vietnams hinab in den Süden fährt, passiert man gleich zwei Dialektgrenzen mit großen Unterschieden innerhalb der Aussprache und Lexik. Die drei Hauptgruppen werden als Nord-, Zentral- und Süddialekt kategorisiert. Im Norden wird der Hanoi-Dialekt gesprochen, auf dem das moderne Standardvietnamesisch basiert. Hier werden unter anderem die verschiedenen Tonhöhen klarer ausgesprochen als bei den südlicheren Varianten. Grammatik und Satzstellung bleiben hingegen größtenteils unverändert.
5. Ich ≠ Ich – die große Familie vietnamesischer Personalpronomen
Das Personalpronomen ich lässt sich im Vietnamesischen mit tôi (Untertan des Königs) übersetzen. Schön und gut, aber so einfach ist es leider nicht: Tôi findet nur dann Verwendung, wenn man sein Gegenüber gar nicht einordnen kann – es ist also sehr formal und kann je nach Situation auch unhöflich wirken. Denn im Vietnamesischen wird streng darauf geachtet, in welcher (familiären) Beziehung die Sprechenden zueinanderstehen – das Alter spielt hierbei ebenfalls eine ganz wichtige Rolle. Alle Pronomen entstammen dem familiären Umfeld, werden aber darüber hinaus auch für Personen verwendet, mit denen man nicht verwandt ist.
Zum Beispiel reden jüngere Geschwister und Personen von sich als em, das für beide Geschlechter verwendet wird, während der etwas ältere Gesprächspartner von sich als anh (großer Bruder), die etwas ältere Gesprächspartnerin als chị (große Schwester) spricht. Personen im fortgeschrittenen Alter bezeichnen sich selbst als ông (Großvater) oder bà (Großmutter). Und dies ist nur ein kleiner Auszug von möglichen „Ichs“.
Beim du verhält es sich genauso: Die offizielle Übersetzung ist bạn (Freund). Aber wie tôi wird bạn nur verwendet, solange die Sprechenden noch kein angemessenes Pronomen der Anrede gefunden haben. Anders als im Deutschen, wo sich die Zuordnung der ersten und zweiten Person beim Wechsel der Sprechenden umkehrt, bleiben die Pronomen im Vietnamesischen der jeweiligen Person zugeordnet. So wird eine Person, die sich selbst als chị bezeichnet, auch mit chị angesprochen.
6. Das grammatische Geschlecht
Ein grammatisches Geschlecht wie im Deutschen existiert im Vietnamesischen nicht. Sämtliche personenbezogene Bezeichnungen (z. B. Berufe) sind geschlechtsneutral. Das vietnamesische Wort für Anwalt luật sư gilt so gleichermaßen für Frauen und Männer. Sollte eine explizite Nennung des Geschlechts notwendig sein, werden die Adjektive gái (weiblich) und trai (männlich) verwendet. Eine Ausnahme bilden lediglich Verwandtschaftsbezeichnungen und Pronomen, die auch im Vietnamesischen das natürliche Geschlecht der jeweiligen Person abbilden.
7. Warum flektieren, wenn es auch ohne geht?
Im gewisser Hinsicht ist Vietnamesisch recht simpel, denn es gibt keinerlei Formen von Flexionen und Deklinationen. Die vietnamesische Sprache ist eine isolierende Sprache: Alle Wortarten sind unveränderlich. Statt Verben zu konjugieren, wird ausnahmslos die Grundform verwendet. Weder das Subjekt eines Satzes noch der zeitliche Kontext haben Einfluss auf das Verb. Um einen Satz in den richtigen Zeitrahmen zu bringen, werden sogenannte Tempuspartikel benutzt: Mit đã wird beispielsweise angegeben, dass etwas in der Vergangenheit liegt, das Präsens wird mit đang sichtbar gemacht und alles Zukünftige wird mit sẽ wiedergegeben. Ebenso werden Substantive, egal welche Funktion sie in einem Satz einnehmen, nicht dekliniert. Statt mit Kasusendungen kann hier mit Präpositionen und Wortstellung deutlich gemacht werden, wie die verschiedenen Satzteile zueinander stehen. Und einen Plural, wie wir ihn kennen, gibt es ebenfalls nicht. Wer also bislang immer zu faul war, sich unregelmäßige Verben oder Dativformen einzutrichtern, sollte es mal mit Vietnamesisch versuchen 😉.
8. Die strikte Satzstellung
Da die Wortarten im Vietnamesischen nicht flektierbar sind, ist die Wortstellung innerhalb des Satzes von entscheidender Bedeutung für das Verständnis: Das Grundgerüst bildet die Subjekt-Verb-Objekt-Stellung, von der prinzipiell nicht abgewichen werden kann. Der einfache Satz ist durch adverbiale Bestimmungen erweiterbar. Diese können am Satzanfang, vor dem Verb oder hinter dem Objekt, nicht jedoch zwischen Verb und Objekt stehen.
9. Näher bestimmende Klassifikatoren
Ein wichtiges Merkmal des Vietnamesischen sind die sogenannten Klassifikatoren oder auch Zähleinheitswörter, wie man sie auch aus anderen ostasiatischen Sprachen, vor allem dem Chinesischen kennt: Mit ihnen werden die unveränderlichen Substantive näher bestimmt. Eine wesentliche grammatische Funktion hierbei ist die Zählbarmachung. Wie man im Deutschen bei unzählbaren Dingen eine Zähleinheit benötigt (z. B. zwei Liter Milch), braucht das Vietnamesische immer eine: ba quyển sách (drei Bücher). quyển ist hierbei der Klassifikator für Bücher. Des Weiteren gibt es, um nur eine kleine Auswahl zu nennen, Klassifikatoren für Früchte (quả), Menschen (người), Gegenstände (cái) und Lebewesen (con). Zum anderen kann mittels der Klassifikatoren der Plural gebildet werden, indem man vor dem jeweiligen Klassifikator die Pluralmarker những oder các stellt: những quyển sách (mehrere Bücher).
10. Sein oder Nichtsein – das ist hier die Antwort
Das Verb sein wird im Vietnamesischen mit là übersetzt. Dennoch gibt es einen großen Unterschied zur deutschen Verwendung: Nicht alle Satzkonstrukte verlangen nach diesem Hilfsverb. Folgt auf das Subjekt ein Substantiv, verhält es sich genauso, wie wir es aus den meisten Sprachen kennen: Thi là kỹ sư – Thi ist Ingenieurin. Folgt jedoch auf das Subjekt ein Adjektiv, ist die Verwendung von là grammatisch inkorrekt: Thi là thông minh – Thi ist intelligent.
Nachdem wir jetzt so viel schlauer geworden sind, haben wir es uns verdient, entspannt ins chinesische Neujahr zu starten. Sức khoẻ dồi dào! Das ist eine traditionelle vietnamesische Grußformel zum neuen Jahr, mit der wir Ihnen beste Gesundheit wünschen – in diesen Zeiten besonders passend. Und falls Sie noch mal Bedarf an vietnamesischen Übersetzungen haben sollten, nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf.