Der Gender-Doppelpunkt gewinnt zunehmend an Akzeptanz, insbesondere, weil er als barrierefrei angesehen wird. Doch bietet er wirklich weniger Beeinträchtigungen als andere Gender-Kurzformen? Im Folgenden wollen wir uns dem Thema Gendern aus der Sicht von blinden und sehbehinderten Menschen nähern. Wie nehmen sie gegenderte Texte wahr?

Die Idee von einem „integrierten Glottisschlag“

Auf der Suche nach der „idealen“ Methode, Geschlechterneutralität auszudrücken, hat der Gender-Doppelpunkt gerade in den letzten Monaten merklich an Beliebtheit gewonnen. Ein weit verbreitetes Argument ist, dass Begriffe mit Doppelpunkt (also „Kund:in“, „Patient:innen“ usw.) – anders als der ebenfalls beliebte Gender-Stern – barrierefrei seien: Eine computergestützte Sprachausgabe für Blinde und Sehbehinderte würde störungsfrei erfolgen, weil der Doppelpunkt als Satzzeichen nicht extra gesprochen werde. Vielmehr entstehe lediglich eine kurze Pause, die dem sogenannten Glottisschlag entspräche, der in der gesprochenen Sprache häufig Genderneutralität anzeigt.

Gender-Doppelpunkte behindern den Hörfluss

Doch ist das wirklich so? Tatsächlich wird die Verwendung des Gender-Doppelpunkts vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ausdrücklich nicht empfohlen. In einem Papier zum Thema Gendern weist er darauf hin, dass sich blinde und sehbehinderte Menschen die – schwer erkennbaren – Interpunktionszeichen häufig ganz bewusst vorlesen lassen, da sie für das Satzverständnis notwendig sind. Ob nun aber „Doppelpunkt“ laut gesprochen wird oder „Stern“ oder „Unterstrich“, macht keinen Unterschied. Ein Gender-Doppelpunkt ist somit mindestens genauso störend wie ein Gender-Stern oder andere kreative Lösungen.

Zwar lässt sich in Vorleseprogrammen, sogenannten Screenreadern, in der Regel einstellen, welche Zeichen unterdrückt werden sollen und welche nicht, allerdings ist ein dauerhaftes Nichtvorlesen des Doppelpunkts ebenfalls problematisch: Abhängig von der jeweils verwendeten Screenreader-Software führt nach Angaben des DBSV ein Unterdrücken des Doppelpunkts häufig zu einer deutlich längeren Pause als das Unterdrücken anderer Zeichen. Für den blinden oder sehbehinderten Menschen würde so anstatt des beabsichtigten Glottisschlags schnell der Eindruck entstehen, der Satz sei zu Ende.

Weiterhin gibt der DBSV zu bedenken, dass es unter blinden und sehbehinderten Menschen ganz unterschiedliche Nutzergruppen mit verschiedenen Anforderungen gibt. Spätestens wenn ein geschriebener Text an Blindenschrift-Displays (Braillezeilen) übertragen wird, ergeben sich weitere Probleme.

Wie sieht barrierefreies Gendern wirklich aus?

Was bedeutet das für eine geschlechterneutrale Sprache unter dem Gesichtspunkt der Barrierefreiheit? Sehende müssen sich eines immer klarmachen: Grundsätzlich stellen alle Satz- oder Sonderzeichen, die ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt werden und der Darstellung von Genderneutralität dienen, ein Hindernis beim Vorlesen dar. Weder Gender-Doppelpunkt noch Gender-Star, Gender-Gap oder Binnen-I können somit vom DSVB aktuell empfohlen werden. Den besten Vorlese- und damit Hörfluss bieten ausformulierte Personenbezeichnungen („Kolleginnen und Kollegen“ etc.). Hier bleibt allerdings anzumerken, dass eine Doppelnennung nicht allen Geschlechtsidentitäten gerecht wird, somit also auch nicht wirklich als geschlechterneutral bezeichnet werden kann. Partizipformen wie „Studierende“ oder übergreifende Begriffe (z. B. „Team“ statt „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“) sind unverfänglicher, allerdings nicht immer möglich.

Wenn schon Kurzform, dann Gender-Stern

Es mag viele überraschen: Falls mit Kurzformen statt mit Doppelnennung gegendert werden soll, so gibt der DBSV dem Gender-Sternchen sogar den Vorzug. Er bezieht sich auf den Deutschen Rechtschreibrat, demzufolge der Stern die gängigste Kurzform sei und damit dem Wunsch nach einem Konsenszeichen am nächsten komme. Außerdem: Sternchen seien grundsätzlich für die meisten sehbehinderten Menschen besser erkennbar als Doppelpunkt & Co.

Das vollständige Papier des DBSV zum Thema lässt sich hier nachlesen.

Zusammenfassung
  • Kein automatischer Glottisschlag: Blinde und sehbehinderte Menschen lassen sich für ein besseres Satzverständnis Satzzeichen häufig ganz bewusst vorlesen.
  • Ein guter Lesefluss entspricht einem störungsfreien Hörfluss: Barrierefreie Texte zeichnet aus, dass sich die Sätze flüssig und verständlich vorlesen lassen. Daher stellen jegliche Verfremdungen von Wörtern durch Sonderzeichen oder typografische Kreativlösungen ein Hindernis dar.
  • Der Doppelpunkt ist eindeutig nicht barrierefrei: Der Verband für blinde und sehbehinderte Menschen rät grundsätzlich von sämtlichen Kurzformen ab und empfiehlt die ausgeschriebene Doppelnennung.
  • Gender-Stern schlägt Doppelpunkt: Soll dennoch eine Kurzform verwendet werden, ist der Gender-Stern dem Doppelpunkt sogar vorzuziehen.

Über neue Entwicklungen in der Diskussion zum Thema geschlechterneutrale Sprache halten wir Sie in unserem Blog und in den sozialen Medien auf dem Laufendem. Gerne beraten wir Sie auch zu diesem Thema und unterstützen Sie bei der Erstellung von Gender-Leitfäden für Ihr Unternehmen.