Steht so im Duden!“ – dieser Satz kommt unter Lektor:innen fast täglich vor. Ob für Unternehmenskommunikation, Marketingmaterialien oder Onlinecontent: Der Duden gilt seit jeher als Autorität für die deutsche Sprache und ist ein wichtiger Begleiter unserer Zunft, denn auch absolute Sprachprofis brauchen für ihre Arbeit ein fundiertes Referenzsystem. Immer wieder entspinnt sich am Duden aber auch leidenschaftliche Kritik, wie zuletzt etwa bei der Aufnahme weiblicher Berufsbezeichnungen. Manche dieser oft heftigen Beschimpfungen sind haltlos, denn um die Deutungshoheit und Rolle des Duden ranken sich viele Mythen. Mit einigen dieser Missverständnisse möchten wir hier einmal aufräumen.

 

Mythos 1: Der Duden ist ein gelbes Buch

Jein, das ist nur bedingt richtig. Wenn allgemein von „dem Duden“ die Rede ist, ist zwar meistens das allseits bekannte sonnengelbe Buch gemeint. Allerdings stellt dieses handliche Werk, das unter dem Titel „Die deutsche Rechtschreibung“ der direkte Nachfahre des Urdudens von 1880 ist und aktuell in der 28. Auflage vorliegt, nur den ersten Band einer zwölfbändigen Reihe zur deutschen Sprache dar. Andere Dudenbände widmen sich Aspekten wie etwa der Grammatik (hellorange), Fremdwörtern (violett) oder sprachlichen Zweifelsfällen (dunkelblau, dies ist übrigens unser Lieblingsband, denn er behandelt zentrale sprachliche Problemfälle, die weit über die eigentliche Rechtschreibung hinausgehen und in tiefere Gefilde abtauchen). Wir Lektor:innen differenzieren daher intern meist nach „Rechtschreibduden“, „Fremdwörterduden“, „blauer Duden“ usw.

Das Dudenuniversum hat darüber hinaus aber noch viel mehr zu bieten: etwa zum Thema Zeichensetzung oder Abkürzungen oder auch das großartige, über 2.000 Seiten dicke Deutsche Universalwörterbuch (ebenfalls gelb), ein Bedeutungswörterbuch mit 3,5-mal mehr Stichwörtern als der Rechtschreibduden. Eine Vielzahl weiterer Dudenpublikationen stellen wichtige Werkzeuge für professionelle Lektoratsarbeit dar. So manche Antwort auf eine Frage findet sich daher gar nicht im gelben Duden, sondern in einem der vielen anderen Bände. Natürlich steht das Meiste, aber nicht alles, auch online zur Verfügung oder ist über Apps abrufbar.

Übrigens: Während sich die Farben der anderen Dudenbände immer mal wieder ändern, ist der Rechtschreibduden seit Jahrzehnten gelb. Und das bleibt hoffentlich auch so.

Mythos 2: Was im Duden steht, ist Gesetz

Nein, denn tatsächlich hat der Rechtschreibduden seine Deutungshoheit über Richtig und Falsch in der deutschen Sprache bereits seit Längerem verloren – nämlich seit der Rechtschreibreform von 1996, mit der auch das sogenannte Dudenmonopol gebrochen wurde. Heute gilt, was der Rat für deutsche Rechtschreibung, die Regulierungsinstitution für die amtliche deutsche Rechtschreibung, festlegt, nicht der Duden. Der Duden wendet diese orthografischen Vorgaben auf seinen Datenbestand an, er ist also, vereinfacht gesagt, lediglich Vermittler der Regelungen. Diese können aber auch Wörterbücher anderer Verlage oder Institutionen wiedergeben (siehe Mythos 7).

Gleichwohl gilt der Duden nach wie vor als Autorität, als das Referenzwerk für die deutsche Sprache. Diese Stellung hat angesichts des hohen, fundierten und ständig aktualisierten Datenbestandes auch ihre Berechtigung. Daher ist es völlig in Ordnung, wenn das, was im Duden steht, von vielen als „Gesetz“ betrachtet wird, selbst wenn es in Wirklichkeit nur abbildet, was woanders beschlossen worden ist. Dennoch lohnt es sich, zu wissen, was die amtliche Rechtschreibung vorschreibt, und immer mal wieder auch in anderen Quellen nachzusehen.

Mythos 3: Der Duden bestimmt die Sprache

Einem allgemeinen Irrglauben zum Trotz ist es keineswegs so, dass der Duden uns durch seine Auswahl vorschreibt, welche Wörter wir verwenden dürfen und wie wir zu schreiben haben. Es ist vielmehr genau andersherum: Wir bestimmen über den Duden. Denn er spiegelt nur wider, was bereits längst üblich ist. Daher ist der Ärger, den der Duden gelegentlich auf sich zieht, häufig völlig ungerechtfertigt. Für jede neu erscheinende Auflage – derzeit sind wir bei Nr. 28 – durchforstet die Dudenredaktion die deutsche Sprache mit computerlinguistischen Methoden nach Neuzugängen. Mit dem sogenannten Dudenkorpus, einem gigantischen Gedächtnis der deutschen Sprache mit derzeit knapp sechs Milliarden Einträgen, steht ihr dafür ein riesiger Fundus zu Verfügung, der abbildet, was sich seit der letzten Auflage in der Sprache getan hat. Dafür werden Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, aber auch Gebrauchsanweisungen, Blogs und Fachtexte analysiert. Neue Wörter, die über verschiedene Textsorten hinweg besonders häufig auftreten, werden dann von der Dudenredaktion unter die Lupe genommen.

Erst wenn die Dudenredaktion sicher ist, dass ein Wort zum allgemeinen Sprachgebrauch zu zählen ist, nimmt sie es in den Wörterbuchbestand auf, ggf. auch in entsprechende Fachwörterbücher, wie etwa das Fremdwörterbuch (Band 5). In die letzte Auflage schafften es beispielsweise um die 3.000 Neuzugänge, darunter Wörter wie „bienenfreundlich“, „Geisterspiel“ oder „genderneutral“. Diese Wörter haben sich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und weiten Verbreitung in unseren Wortschatz geschlichen. Erst dann fanden sie Einzug in den Duden.

Mythos 4: Einmal im Duden, immer im Duden

Zwar nimmt die Anzahl der Stichwörter im Duden stetig zu, aber es kommt auch zu Verschlankungen. Nach dem gleichen Prinzip, wie Neueinträge ausgewählt werden, fallen auch Wörter weg. Dabei geht es der Dudenredaktion zwar wie uns allen – sie trennt sich ungern von alten Sachen, egal, wie lange sie schon unbenutzt im Keller standen. Aber manchmal muss es einfach sein. Für die aktuelle Auflage beispielsweise wurden 300 Wörter aussortiert. Bevor ein Wort endgültig das Zeitliche segnet und aus dem Duden verschwindet, machen Anmerkungen wie „veraltet“ oder „früher“ schon darauf aufmerksam, dass es eigentlich nicht mehr dazugehört. Für die Nostalgiker:innen unter uns hat der Dudenverlag übrigens das Buch „Was nicht mehr im Duden steht“ herausgebracht. Damit geht kein Wort vollkommen verloren, zumal Wörter wie „Nirgendland“, „rauschelig“ oder „nachdenksam“ auch einfach zu schön sind, um sie ganz zu vergessen.

Mythos 5: Der Duden gibt immer eindeutige Antworten

Schön wär’s. Anders als in der Mathematik gibt es in Sachen Sprache und Rechtschreibung nicht immer nur die eine richtige Lösung. Der Duden kennt nicht nur richtig und falsch, sondern auch auch. Hier sind wir beim Thema Variantenvielfalt. Besonders infolge der Rechtschreibreform hat in der deutschen Sprache das Nebeneinander von neuen und alten Schreibvarianten zugenommen. Dort, wo alte Formen nach wie vor korrekt sind, werden sie im Duden aufgeführt, z. B. „grafisch“ und „graphisch“. Zum Glück spricht der Duden in solchen Fällen Empfehlungen aus (in diesem Fall „grafisch“) und kennzeichnet diese gelb. Auch hierfür spielt wieder die Häufigkeit eine Rolle: Welche Variante den Zuschlag bekommt, darüber bestimmt vor allem die Frage, welche allgemein am häufigsten benutzt wird, aber auch Aspekte wie Lesbarkeit und Handhabung spielen eine Rolle. Wir Lektor:innen schätzen diese Dudenempfehlungen sehr, da sie einen gewissen Orientierungsrahmen für eine einheitliche Orthografie vorgeben. Außerdem können wir damit sicher sein, dass die empfohlenen Formen allgemein am gängigsten sind und Leser:innen in der Regel am besten erreichen.

Die Schreibvarianten betreffen übrigens nicht nur alte und neue Rechtschreibung. Schon vorher waren oft mehrere Formen zulässig (z. B. „Sinfonie“ und „Symphonie“), und auch bei Fachbegriffen gibt es zwischen Standard- und Fachsprache gelegentlich Schreibunterschiede („Zitrat“ vs. „Citrat“).

Mythos 6: Im Duden stehen sämtliche Wörter der deutschen Sprache

Nein, sonst wäre der Duden vermutlich mindestens zehnmal so dick. Wer ein Wort vergeblich im Duden sucht, muss nicht glauben, dass es nicht existiert, völlig unbekannt oder gar falsch ist. Denn der Duden enthält nur Grundformen, keine deklinierten oder konjugierten Begriffe. Außerdem ist der Duden wählerisch. Das Nachsehen haben regional benutzte Ausdrücke, Begriffsvarianten, Zusammensetzungen bzw. Komposita, Neologismen, Fremdwörter oder veraltete Wörter – also Begriffe, die einfach nicht häufig genug auftreten, um es zwischen die gelben Buchdeckel zu schaffen.

So fällt uns in unserem Lektoratsalltag öfter auf, dass der Duden etwa sehr restriktiv mit der (nicht nur) rheinischen Tendenz zu weichen Konsonanten umgeht. Laut Duden wird nur geschnippelt und geschlittert, während Rheinländer:innen auch mal schnibbeln und schliddern. Aber nur weil solche Duden-Aliens keinen Eintrag haben, heißt das nicht, dass sie nicht ihre Berechtigung haben oder nicht verwendet werden dürfen. Oft wäre es regelrecht schade um den regionalen Bezug, wenn man ganz auf sie verzichten würde. Wenn sich solche Wörter weit genug ausbreiten und sowohl in der Sprache als auch in der Schrift oft genug verwendet werden, dann werden sie unter Umständen natürlich auch noch in den Duden aufgenommen.

Mythos 7: Der Duden ist das einzige Wörterbuch der deutschen Sprache

Auch hier: nein. Tatsächlich kann es einem bis heute so vorkommen, als hätte der Duden bei den Wörterbüchern eine Monopolstellung inne. Doch es gibt auch noch andere Verlage und Institute, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die deutsche Sprache abzubilden. Manche kommen eher aus der Tradition der Fremdwörterbücher, wie etwa die Werke von Pons oder Langenscheidt. Diese wenden sich folgerichtig eher an Benutzer:innen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, und sind für Sprachexpert:innen eher von geringer Bedeutung. Als fundiertestes Nachschlagewerk zur Rechtschreibung neben dem Duden galt lange Zeit der erstmals 1966 erschienene Wahrig. Anders als sein großer Konkurrent konnte er sich allerdings gegen das wachsende Internet nicht behaupten und musste 2013 seinen Vertrieb einstellen.

Darüber hinaus gibt es das große Onlineangebot an digitalen Nachschlagewerken, die häufig von akademischen Einrichtungen aufbereitet werden. Zu erwähnen sind hier etwa das Onlineangebot des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache (IDS), bei dem unter anderem auch das Wörterverzeichnis des amtlichen Regelwerks abgerufen werden kann, das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS), das den deutschen Wortschatz von 1600 bis heute abbildet, oder das Wortschatz-Portal der Uni Leipzig. All diese Korpora bieten eine Fülle an linguistischen Informationen, die weit über das hinausgehen, was der Duden abdecken will. Sie sind dadurch mitunter aber auch sperrig und für Alltagsanwender:innen somit nur bedingt geeignet. Daher ist der Duden mit seiner fast 150-jährigen Erfahrung in der Verbreitung korrekter Sprache zu Recht bis heute das unangefochtene Standardwerk.


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Mit seiner fast 150-jährigen Tradition war und ist der Duden Chronist und Spiegel unserer Sprache, die wiederum ein Abbild unserer sich ständig wandelnden Gesellschaft und Gewohnheiten ist. Wenn Sie einen Wegweiser benötigen, der Sie bei Ihren Publikationen durch das Dickicht der deutschen Sprache führt, stehen Ihnen unsere Lektor:innen, auch als „sprechende Duden“ bezeichnet, jederzeit gerne zur Seite. Wir freuen uns über Ihre Nachricht.