Mit der Queen ist eine Stimme verstummt, die Großbritannien fast 100 Jahre lang begleitet hat. Was es mit der ganz besonderen Sprache von Elizabeth II. auf sich hatte und warum es kein Oxford English war, was „Queen’s English“ in Wirklichkeit bedeutet und was das Ganze mit Freddy Mercury zu tun hat, beleuchten wir in diesem Beitrag. Und wir zeigen, dass Sprache selbst bei einer Institution wie dem englischen Königshaus einem stetigen Wandel unterliegt.

Eine Zeit des Umbruchs

Am 19. September 2022 ist Queen Elizabeth II., die hinter Ludwig XIV. das weltweit am längsten amtierende Staatsoberhaupt war, zu Grabe getragen worden. Nicht nur für Brit:innen markiert der Abschied von dieser Königin eine Zeitenwende. Sie stand für das alte England, für Verlässlichkeit, aber auch für Zurückhaltung und Selbstbeherrschung. Diese Haltung der „stiff upper lip“ zeigte sich auch in ihrer sehr individuellen Art zu sprechen. Mit Elizabeth II. ist nun nicht nur ein Stück dieses alten Englands gestorben, sondern auch eine Extremform des Upperclass-Akzents.

Sprach die Queen „Queen’s English“?

Wer sich mit der Sprechweise von Elizabeth II. auseinandersetzt, stolpert unweigerlich über den Begriff „Queen’s English“. Um gleich mit einem verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Dieser Ausdruck ist keine Beschreibung der spezifischen Redeweise von Queen Elizabeth II. Doch was bedeutet Queen’s English genau? Gemäß Oxford Dictionary ist es definiert als „das korrekte Englisch, wie es von gebildeten Menschen im UK gesprochen und geschrieben wird“. „Queen’s English“ bezeichnet also nicht den individuellen Akzent von Elizabeth II., sondern ist ein übergreifender Ausdruck für gebildetes Englisch (in Wort und Schrift). Es umfasst dabei nicht nur die Aussprache, sondern auch Aspekte wie Wortwahl, Ausdruck und Formulierungen. Wenn jemand also von sich behauptet „I was taught the Queen’s English“, so impliziert das, dass er eine gute (sprachliche) Bildung hatte. Letztlich wird man der Bedeutung des Begriffs „Queen’s English“ also am ehesten gerecht, wenn man ihn als das Englisch einer Königin begreift – und eben nicht als das Englisch der Königin.

Oh my posh: das Upperclass-Englisch der Queen

Was war dann aber das Besondere am Englisch von Elizabeth II.? Zunächst einmal redete Queen Elizabeth laaangsam und bedächtig und sprach Vokale seeehr gedeeehnt aus. Als Königin aller Brit:innen war sie darauf bedacht, sich würdevoll, klar und unkompliziert auszudrücken, um von all ihren Untertan:innen verstanden zu werden. Dennoch aber und viel markanter: Sie sprach mit einem posh accent, also dem typischen Akzent der britischen Oberschicht und Aristokratie, der von manchen als vornehm, von anderen wiederum als steif und abgehoben empfunden wird. Dieser Upperclass-Akzent unterscheidet sich deutlich vom Standardenglisch, nicht nur in der Aussprache einzelner Vokabeln (z. B. „sille“ statt „silly“, „orfen“ statt „often“ oder „lar“ statt „liar“), sondern auch in Fragen von Betonung, Sprachmelodie oder Wortbindungen. Wenn die Queen also „Oh hello“ sagte, klang es eher wie „Air hair lair“.

Der klassenlose Standardakzent: Oxford-Englisch bzw. Received Pronunciation

Gelegentlich wird der Begriff Queen’s English (oder, wie es nun wieder heißt, King’s English) auch mit dem englischen Standardakzent gleichgesetzt. Das halten wir insofern für problematisch, als der von der Queen und im gesamten britischen Königshaus gesprochene vornehme posh accent ein eindeutiges Kennzeichen der Upperclass ist. Der englische Standardakzent hingegen, der auch als Oxford-Englisch, BBC English oder Received Pronunciation (RP) bezeichnet wird, gibt per se keinen Hinweis darauf, aus welcher Schicht die Sprechenden stammen. RP als Queen’s oder King’s English zu bezeichnen wäre somit ein gewisser Widerspruch.

Aber was ist Oxford-Englisch bzw. RP eigentlich? RP gilt als die anerkannte englische Standardaussprache, wie sie in Wörterbüchern mittels phonetischer Lautschrift festgelegt ist und die auch wir – mehr oder weniger korrekt – alle in der Schule gelernt haben. Der RP-Akzent hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts als allgemein gültiger Aussprachestandard des Englischen durchgesetzt und wurde 1922 von der BBC als verpflichtend eingeführt.

Freddy Mercury: Queen’s English der anderen Art

Die wichtige Rolle, die ein astreiner, von regionalen „Dialektverunreinigungen“ freier RP-Akzent früher für gesellschaftliche Anerkennung spielte, hat seit den 1960er-Jahren stetig abgenommen. Selbst das Englisch von BBC-Sprecher:innen klingt heutzutage längst nicht mehr so rein wie noch vor 50 Jahren. Schätzungen gehen davon aus, dass heute nur noch rund 3 % der Bevölkerung ein nach damaligen Maßstäben makelloses, unverfälschtes Oxford-Englisch sprechen. Bezeichnenderweise zählen dazu häufig Menschen, die gar nicht in Großbritannien aufgewachsen sind. Denn wer Englisch im Ausland lernt, ist naturgemäß mehr vor „Verunreinigungen“ durch regionale Akzente geschützt. Ein Beispiel dafür bringt uns von der Queen zu Queen: Freddie Mercury, in Sansibar und Indien aufgewachsen und auf einem englischsprachigen Internat erzogen, sprach ein wunderbar reines RP-Englisch. Und das, obwohl (oder gerade weil) er erst mit 18 Jahren nach England kam. Die Queen wird es gefreut haben.

Trotz aller Beständigkeit: sprachlicher Wandel auch bei Elizabeth II.

Das Besondere am Englisch von Elizabeth II. war, dass es wegen ihres langen Lebens generationenübergreifend war. Deswegen sind ihre Ansprachen aus knapp 80 Jahren eine Fundgrube für Sprachwissenschaftler:innen, lässt sich an ihnen doch eindrucksvoll ablesen, dass auch Sprache an sich immer Veränderungen unterworfen ist. Denn selbst das Englisch der Queen – so posh und old-fashioned es wohl zu jeder Zeit empfunden worden sein mag – war kein monolithischer Block, sondern hat sich seit ihrer ersten Radioansprache im Jahr 1940 durchaus gewandelt.

Untersuchungen zeigen, dass auch die Queen „moderner“ wurde und sich dem Standardenglisch langsam annäherte – nicht nur beim Vokabular, sondern auch in ihrem Akzent. So verwendete sie lange Zeit Begriffe und Aussprachevarianten, die in den 1920er-Jahren als Upperclass-Standard gegolten hatten, adaptierte sie aber im Lauf der Jahrzehnte behutsam – ob bewusst oder unbewusst – in eine zeitgemäßere Richtung. Dennoch: Relikte aus früheren Zeiten haben sich in ihrer Sprache bis zuletzt erhalten und die meisten Hörer:innen haben ihr Englisch vermutlich zu jeder Zeit als irgendwie altmodisch empfunden.

Die Sprache der „jungen“ Windsors: William, Harry & Co.

Genauso wie sich auch das strenge Standardenglisch verliert, ist auch der Upperclass-Akzent heute längst nicht mehr so posh wie früher. Das bedeutet nicht, dass die Sprache der Upperclass im Verschwinden begriffen ist. Dazu ist in Großbritannien nach wie vor das Klassenbewusstsein zu ausgeprägt. In gewisser Weise lassen sich am sprachlichen Wandel aber gesellschaftliche Entwicklungen ablesen.

Die nachfolgenden Generationen, insbesondere die des frischgebackenen Prince of Wales William und seines Bruders Harry, sprechen bereits ein wesentlich weniger gestelztes Englisch als die ältere Generation der Windsors. Dennoch: Sprachlich gesehen sind auch sie weiterhin Vertreter ihrer Klasse. Als vor einigen Jahren im US-Fernsehen ein Interview mit den beiden Brüdern ausgestrahlt wurde, haben sich die Senderverantwortlichen entschlossen, Untertitel einzublenden. Für ein US-amerikanisches Publikum wäre ihr posh accent allein wohl nicht zumutbar gewesen.

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Bei aller Beständigkeit der Queen: Auch bei ihr zeigt sich, dass Sprachen lebendige Organismen sind, die einer ständigen Entwicklung unterliegen. Daher haben wir unsere Ohren ausschließlich am aktuellen Sprachmarkt.
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